Surfen bei Ebbe oder Flut? Gezeiten beim Surf Forecast richtig verstehen
Dieser Artikel handelt von Gezeiten und ihre Auswirkungen auf das Surfen.

Bevor ich mit Mitte 20 mit dem Surfen anfing, hatte ich kaum Berührungspunkte mit dem Thema Gezeiten. Als jemand, der nicht am Meer aufgewachsen ist, war mein Wissen darüber auf den Physikunterricht in der Grundschule beschränkt – und das liegt schon viele Jahre zurück. Dass Gezeiten beim Surfen so relevant werden könnten, hätte ich damals nie gedacht.
Was früher für mich ein trockenes, physikalisches Thema war, finde ich heute unglaublich spannend. Ich bin froh, die Zusammenhänge inzwischen zu verstehen, denn sie gehören für mich zum grundlegenden Wissen eines jeden Wassersportlers. Gezeiten sind nicht nur für fortgeschrittene Surfer entscheidend, wenn es um die Wahl der richtigen Zeit und des besten Spots für die nächste Surfsession geht. Auch Anfänger sollten sich bereits mit dem Thema beschäftigen: Wenn du zur falschen Zeit im Wasser bist, kann es passieren, dass nicht einmal kleine Schaumbälle zum Üben da sind.
Gezeiten spielen eine zentrale Rolle in jedem Surf Forecast. (Lerne in diesem Artikel einen Surf Forecast richtig zu lesen und zu verstehen)
In diesem Artikel erkläre ich dir alles, was du als Surfer über Gezeiten wissen solltest – leicht verständlich, direkt von Surfer zu Surfer, und ohne dich mit zu viel Physik zu langweilen.
1. Was sind Gezeiten
Die Gezeiten (engl.: Tides) beschreiben das Zusammenspiel von Ebbe und Flut, das man am Meer beobachten kann.

Wichtige Begriffe:
- Ebbe (Ebb) und Flut (Flow) beschreiben Zeiträume.
- Hochstand (High Tide) und Tiefstand (Low Tide) hingegen sind spezifische Zeitpunkte.
- Flut bezeichnet den Zeitraum, in dem das Wasser ansteigt (von Low Tide zu High Tide).
- Ebbe beschreibt den Zeitraum, in dem das Wasser sinkt (von High Tide zu Low Tide).
- Tidenhub bezeichnet den Höhenunterschied zwischen Hoch- und Tiefstand.
Da in der Surferwelt am häufigsten die Begriffe High Tide und Low Tide verwendet werden, werde ich im weiteren Verlauf die englischen Wörter nutzen.

2. Wie entstehen Gezeiten?
Um zu verstehen, wie Gezeiten entstehen, braucht es einen kurzen Einblick in die Kräfte, die zwischen Erde, Mond und Sonne wirken. Gezeiten werden durch die Gravitationskraft und die Fliehkraft verursacht.

Gravitationskraft:
Die Gravitationskraft ist die Anziehungskraft zwischen zwei Massen, zum Beispiel zwischen Mond und Erde. Je größer die Masse eines Objekts, desto stärker seine Anziehungskraft. Gleichzeitig nimmt die Anziehungskraft ab, je weiter zwei Objekte voneinander entfernt sind.
Fliehkraft:
Allein unter diesem Aspekt betrachtet würden die Planeten jedoch kolligidieren und sich gegenseitig zerstören. Daher kommt Zusätzlich die Fliehkraft ins Spiel. Die Fliehkraft entsteht durch die Kreisbewegung von Erde und Mond um einen gemeinsamen Schwerpunkt. Diese Kraft wirkt von der Erde ausgehend nach außen, also weg vom Mittelpunkt der Drehung, und wird auch Zentrifugalkraft genannt.
Die Gezeiten entstehen durch das Zusammenspiel dieser beiden Kräfte:

- Auf der mondzugewandten Seite der Erde zieht die Gravitationskraft des Mondes das Wasser an, wodurch ein Flutberg entsteht. Die Fliehkraft ist geringer als die Gravitationskraft
- Auf der gegenüberliegenden Seite der Erde überwiegt die Fliehkraft, Die Fliehkraft schleudert, bildhaft gesprochen, das Wasser nach außen. Dadurch entsteht ebenfalls ein Flutberg.
Häufigkeit von High Tide und Low Tide
Der Wechsel von High Tide zu Low Tide dauert etwas mehr als 6 Stunden. Der komplette Zyklus von High- zu High Tide oder Low- zu Low Tide beträgt etwa 12 Stunden und 25 Minuten. Da die Erde sich einmal in etwa 24 Stunden um ihre eigene Achse dreht, bewegen sich diese beiden Flutberge ebenso um die Erde. Daher kannst du am Meer beobachten, dass es zweimal täglich High Tide und Low Tide gibt, die sich täglich um 50 Minuten (2×25 Minuten) verschieben. Deshalb sollte man als Surfer täglich den Gezeitenkalender prüfen.
Springtide vs. Nipptide
Auch die Sonne hat Einfluss auf die Gezeiten, obwohl ihre Gravitationskraft durch die größere Entfernung zur Erde geringer ist als die des Mondes. Die Anordnung von Sonne, Mond und Erde beeinflusst den Tidenhub (Höhenunterschied zwischen High Tide und Low Tide). Man unterscheidet Springtide und Nipptide.
Springtide:
Bei Springtiden stehen Sonne, Mond und Erde in einer Linie, was bei Vollmond und Neumond der Fall ist. Die Gravitationskräfte von Mond und Sonne wirken in die gleiche Richtung, wodurch besonders starke Gezeiten entstehen. Du kannst entsprechend einen größeren Tidenhub ablesen

Nippgezeit:
Bei Nipptiden stehen Sonne, Mond und Erde in einem 90-Grad-Winkel zueinander. Die Gravitationskräfte heben sich teilweise gegenseitig auf, was zu schwächeren Gezeiten führt.

Einfluss der Jahreszeiten
Zusätzlich zu erwähnen ist, dass die Ausprägung der Gezeiten zudem je nach Jahreszeit variiert. Im Frühjahr und Herbst ist der Tidenhub oft stärker, da die Sonne der Erde näher steht.
Einfluss der Küsten
Die Stärke der Gezeiten hängt auch von der Beschaffenheit des Meeresbodens sowie der Küstenform ab:
- Steile Küsten: Geringere Unterschiede zwischen Hoch- und Niedrigwasser.
- Flache Küsten: Größere Unterschiede.
Gezeitenkalender und Surf Forecast
Gezeitenkalender sind in der Regel Bestandteil von Surf Forecasts (z.B Surfline) . Sie geben den Zeitpunkt von High Tide an und erlauben es, den Tidenhub abzulesen. Es gibt außerdem zahlreiche Tide Watches, auf denen man die Gezeiten ablesen kann. Ein beliebtes Accessoire bei Surfern.
Die Gezeiten beeinflussen die Wellenhöhe und ihr Brechungsverhalten erheblich. Wie und wann ein Surfspot am besten läuft, hängt stark vom Wasserstand und der Beschaffenheit des Untergrunds ab.
Je größer dabei der Tidenhub desto größere Auswirkungen hat es auf die Wellenbedingungen. Dann solltest du besonders bei der Auswahl deines Surf Spots die Uhrzeit im Wasser bedenken.
In den folgenden Gezeiten Graphen kannst du gut einen unterschiedlichen Tidenhub erkennen:

Besonders in der dritten und vierten Stunde einer Gezeit (nach Beginn von High Tide oder Low Tide) ist das Wasser am meisten in Bewegung, was zu stärkeren Strömungen führen kann.
3. Wie beeinflussen Gezeiten die Wellen?
Vorab: Damit du besser verstehst, warum und wie Wellen brechen, möchte ich dir ans Herz legen den Artikel zur Swell- und Wellenentstehung anzuschauen!
Wie bereits erwähnt beeinflussen Gezeiten die Wellen erheblich und können entscheidend sein, ob überhaupt surfbare Wellen vorhanden sind.
Um die Auswirkungen der Gezeiten auf die Wellen besser zu verdeutlichen, betrachten wir ein Beispiel: Wir nehmen eine ca. 1 Meter hohe Welle und vergleichen, wie sie sich an demselben Strand bei Low Tide, Mid Tide und High Tide verhält.
Faustregel: Eine Welle bricht bei einer Wassertiefe, die etwa 1,3-mal so groß ist wie ihre Höhe (zum Beispiel bricht eine 1-Meter-Welle bei einer Wassertiefe von ca. 1,3 Metern, während eine 1,5-Meter-Welle bei etwa 1,9 Metern Tiefe bricht)
Low Tide
Bei Low Tide trifft die Wellenenergie aus dem tiefen Wasser direkt auf die erste Sandbank. Dadurch wird sie abrupt abgebremst und bricht sehr hohl auf die Sandbank. Anschließend läuft sie als lange Schaumwalze aus.

Je nach Größe der Welle und Form der Sandbank kann die Welle selbst schwer bis gar nicht surfbar sein. Die Schaumwalzen jedoch sind ideal für Surf Beginner zum üben.
Mid Tide
Etwa drei Stunden später, bei Mid Tide, hat das Wasser aufgelaufen. Die Wellen treffen nun sanfter auf dieselbe Sandbank. Sie brechen nicht mehr so hohl, sondern flacher und langsamer.

Diese Bedingungen sind ideal für Intermediate Surfer, da die Wellen weniger Power haben und mehr Zeit bieten, um aufzustehen.
High Tide
Wieder drei Stunden später, bei High Tide, wird die Sandbank von der Wellenenergie kaum noch getroffen. Die Welle wird nur leicht abgebremst und “schwappt” durch, bevor sie Richtung Strand weiterläuft und schließlich als Shore Break bricht.

Shore Break bedeutet, dass sich sich die Wellen zwar weit draußen bilden, aber erst am Ufer brechen. Meist sind die kraftvoller und brechen sehr schnell, da das Wasser. Das vom Strand wieder ins Meer zurückfließen will, hochgedrückt wird. Diese können bei High Tide riskant sein – wenn Sie nicht aufpassen, können Sie mit Ihrem Brett direkt in den Sand krachen. Shorebreaks sind nicht unmöglich zu surfen, sind aber definitiv fortgeschrittenen Surfern vorbehalte.
Wäre die Welle in diesem Fall größer, kann es gut möglich sein, dass sie nicht durchschwappt sondern bricht. Der Shorebreak wird bei großen Wellen besonders kraftvoll, was den Einstieg ins Line-Up deutlich erschweren kann. Für Surf Beginner wären diese Bedingungen ungeeignet.
Gezeitenschub
Von einem Gezeitenschub spricht man, wenn während der Flut mehr Wasser an den Strand gedrückt wird, wodurch sich diese Energie mit die der Welle zu kraftvolleren Welle verbindet.
Jeder Surfspot funktioniert anders!
Das Brechungsverhalten der Wellen hängt stark vom Untergrund des Surfspots ab. Es kann durchaus sinnvoll sein, sich einen Surfspot bei Low Tide anzuschauen. Hier kann man oft Sandbänke erkennen, ob Steine oder andere Hindernisse im Wasser sind. The Wreck?
Manche Riffbreaks sind sogar gar nicht bei Low Tide surfbar, da das Wasser zu flach ist und man sonst darüber fahren würde.
Take Aways zur Wellenbrechung
Beachbreaks (Sandboden):
- Bei kleineren Wellen kann es sinnvoll sein, bei ablaufendem Wasser (z. B. von Midtide zu Lowtide) surfen zu gehen, da die Wellen bei High Tide oft “durchschwappen” und nicht surfbar sind.
- Größere Wellen laufen bei auflaufendem Wasser oft sanfter, was besonders für Anfänger und Intermediates von Vorteil ist.
- Bei High Tide ist auf den Shore Break beim Einstieg ins Wasser zu achten
- Anfänger sind bei kleinem Swell und Beachbreaks gut aufgehoben, da sie bei Low Tide lange Schaumwalzen zum Üben finden und man auf Sandboden weicher fällt.
Point- und Riffbreaks (Stein- oder Korallenboden):
- Diese Spots sind stark vom Untergrund abhängig. Es lohnt sich, lokale Guides nach den besten Bedingungen zu fragen.
- Bei Low Tide können diese Spots oft unsurfbar sein, da das Wasser zu flach ist und das Risiko besteht, den Boden zu berühren.
Zusammenfassung
Die Gezeiten entstehen durch das Zusammenspiel von Gravitationskräften des Mondes und der Sonne sowie der Fliehkraft der Erde. Die Wechselwirkung führt dazu, dass wir zweimal täglich Ebbe und Flut erleben, die sich täglich um ca. 50 Minuten verschieben.
Die Gezeiten haben einen erheblichen Einfluss auf das Brechungsverhalten und die Qualität der Wellen. Es erfordert Erfahrung, um zu verstehen, wie die Gezeiten die Bedingungen an verschiedenen Surfspots beeinflussen. Einige Spots laufen bei Flut am besten, andere bei Ebbe, während manche unabhängig von den Gezeiten gute Wellen bieten. So kann es beispielsweise sein, dass bei High Tide eine Welle erst als Shorebreak am Ufer bricht oder bei Low Tide der Spot durch da Riff unsurfbar wird.
Wie stark sich die Gezeiten auswirken, hängt von der Mond-Sonne-Erde-Konstellation (Spring- oder Nippgezeiten), der Küstenform und dem Tidenhub ab. Um das Beste aus einer Surfsession herauszuholen, solltest du als Surfer immer Gezeitenkalender und Surf Forecasts nutzen.